Interview mit unserem Kung Fu Lehrer Timo Stolley über Taiwan und das Kung Fu

Wie würdest du deinen Kung Fu Stil für Laien beschreiben? Ist es eher explosiv oder eher fließend? Weich? Oder Fest? Schnell oder langsam?

„Sowohl als auch. Es kommt auf die Übung und den Entwicklungsstand an. Bei der südlichen Gottesanbeterin habe ich gelernt, mich vor allem auf die Arme zu konzentrieren. Es war Nahkampf-orientiert. Man hat sich Stück für Stück vom angreifenden Körperteil zum Kopf des Gegners vorgearbeitet, um ihn dort auszuschalten. Im Baji Quan (einem anderen Kung-Fu Stil) habe ich dann gelernt, am angreifenden Körperteil vorbei, ohne Umwege an den Körper zu gehen und den Gegner aus seiner sicheren und stabilen Situation zu bringen, um dann die finale Technik zu setzen. Beim ersten Stil ging es also darum jedes Körperglied, Stück für Stück zu zerstören/ außer Gefecht zu setzen und sich dabei in den Gegner reinarbeitet und beim zweiten dass man gleich, so schnell wie möglich reingeht. Den Körpergliedern wird nur wenig Beachtung geschenkt, weil man sich daran vorbei, direkt zum Rumpf bewegt, um den Gegner zu erschüttern und außer Gefecht zu setzen. Ja, es bestehen Ähnlichkeiten zum Jeet Kune Do von Bruce Lee oder was man aus dem Wing Chun kennt. Jedenfalls was die schnelle direkte Reaktion betrifft und den Weg nach vorne. Aber wie man in Asien immer hört: „ Same, same but different…“. Wie gesagt, der Mensch hat nun mal nur durch seine zwei Arme und Beine begrenzte Bewegungsmöglichkeiten, so dass alle Techniken auch woanders vorkommen. Die Schwerpunkte, die Ausführungs- und Einsatzprinzipien, die Auffassung und das Ziel von Kampf unterscheiden sich und bringen dann Variabilität rein. Die „freie“ oder „reine“ Kampfkunst, dass sind nur Schlagwörter – die gibt es nicht. Wenn jemand keine Ahnung vom Kämpfen hat, wird er in jedem Stil herangeführt. Er lernt eine Struktur, ein „Skelett“, damit umzugehen. Meistens sitzen wir heutzutage im Alltag. In der Schule, auf der Arbeit usw. unsere Muskulatur hat sich den täglichen Anforderungen angepasst. Wenn ich mich dann anfange zu bewegen, dann ist das ungewohnt für den Körper. Er gibt es aber ursprünglich von seiner evolutionsgeschichtlichen Konstruktion her.  Das heißt alle Bewegungen, sind auch für alle geeignet – und mit mehr oder weniger Aufwand erlernbar. Im Laufe der Zeit erfolgt eine stilspezifische Sozialisation. Am Ende geht es darum, diese Sozialisation wieder aufzubrechen und dem Gegner, Partner und der Situation entsprechend angemessen einzusetzen. Also „frei“ und „natürlich“ wird alles, wenn wir es beherrschen und kontrolliert einsetzen können. Das gleiche gilt auch für den Geist. Emotionen können als Antrieb nützlich sein. Aber eine blindes, kopfloses wild-unkontrolliertes herausstoßen dieser Energie kann uns eher in eine prekäre Situation bringen. Wir müssen immer daran denken, dass wir uns nicht gegen kleine Kinder zur Wehr setzen, sondern ein größerer und schwerer Gegner das ist, was wir managen wollen. Deswegen wir man im Training unweigerlich auch auf sich selbst zurück geworfen und mit seinen inneren Reaktionen, Widerständen usw. konfrontiert."